Am 09. September sind Bilder entstanden, die um die ganze Welt gingen und die Situation von Geflüchteten Menschen an den europäischen Außengrenze für wenige Tage in den Fokus der öffentlichen Berichterstattung rückten. Moria – das größte Flüchtlingslager Europas auf der griechischen Inseln Lesbos ging in Flammen auf. Daraufhin wurden die Geflüchteten mit Pfefferspray und Schlagstücken in ein neues Lager gezwungen, in dem Zustände „noch schlimmer als in Moria“ herrschen.
Drei Monate später schienen sich die Ereignisse woanders zu wiederholen: Lipa, ein Geflüchtetenlager in Bosnien nahe der EU-Grenze, brannte fast vollständig nieder. Hunderte Menschen landeten auf den Straßen und in den Wäldern, mitten im Winter. Der mediale Aufschrei fiel hier schon leiser aus und hallte auch in der öffentlichen Wahrnehmung nicht so lange nach.
Zwei Lager, die kurz Aufmerksamkeit auf die widerliche EU-Abschreckungs- und Abschottungspolitik gelenkt haben, aber eben nur beispielhaft stehen für viele weitere Lager an den europäischen Außengrenzen. Diese Lager sind das Ergebnis einer EU-Abschottung, die seit Jahren immer massiver vorangetrieben wird. Die Brände in den Lagern und die EU-Abschottungspolitik, die hier sinnbildlich das Feuer legte, verschwanden nach nur wenigen Tagen wieder vollständig aus der Öffentlichkeit.
Nach dem Brand in Moria stellte sich Deutschland als einzig verantwortungsbewusste Nation dar und verkaufte es als Akt der Humanität 1553 Menschen aufnehmen zu wollen. 291 sind es bisher nur, die angekommen sind. Der Brand in Lipa rief keinerlei solcher Reaktionen hervor, außer geheucheltes Bedauern der Situation von Seiten der PolitikerInnen – stattdessen ging es weiter mit dem Ausbau der europäischen Grenzabschottung. Das neue Lager auf Lesbos gleicht inzwischen einem Knast und die Menschen haben keine Möglichkeit hinaus zu kommen, die EU möchte sie nicht haben, sie sollen nicht gesehen werden. An der bosnisch-kroatischen Grenze werden die Menschen mit massiver Polizeigewalt davon abgehalten, über die Grenze zur EU zu kommen.
Deutschland treibt nicht nur hier die Abschottung Europas nach wie vor maßgeblich voran, sondern versucht auch sämtliche nordafrikanische Staaten im Rahmen einer „Initiative“ durch neue Abkommen der Migrationskontrolle zu mehr Grenzaufrüstung und leichterer Rückführung zu drängen. Länder deren Grenzwache im übrigen seit Jahren mit Militärgütern ausgestattet und von deutschen Polizisten geschult werden, wie beispielsweise in Libyen oder Mali.
Die europäischen Grenzabschottung ist inzwischen ein enormes Gefüge aus politischen Abkommen, Institutionen und eigenen Grenzschutzbehörden. Einer dieser Behörden ist Frontex, die nachweislich an illegalen Pushbacks auf dem Mittelmeer beteiligt ist. Die Ausbildung von „Sicherheitskräften“ wie der Libyschen Küstenwache, Lager, Hightech-Zäune, Kriminalisierung von ziviler Hilfe wie Seenotrettung und vieles mehr sind weitere Ausdrücke dieser Politik .
Es ist offensichtlich, dass die Abschottung und damit auch die elendigen Zustände in den heillos überfüllten Lagern auf Lesbos, Samos, Chios, Lipa und überall an Europas Grenzen weder etwas mit politischem Versagen, noch mit verlorengegangenen Werten zu tun haben – sie wurden über Jahre vorangetrieben und sind politisch gewollt.
Abschottung made by Capitalism
Obwohl auch in „reichen“ Industrienationen wie Deutschland die Armut zunimmt und sich der erarbeitete Wohlstand mehr und mehr in den Händen weniger konzentriert, lebt ein Großteil der arbeitenden Bevölkerung noch in vergleichsweise guten Verhältnissen. Das Leben der Mehrheit der Weltbevölkerung jedoch, vor allem im globalen Süden, ist vom kapitalistischen Chaos aus Kriegen, Umweltzerstörung und Armut geprägt. Es sind imperialistische Staaten wie Deutschland, die solche Verhältnisse schaffen, befeuern, davon profitieren und sie aufrecht erhalten wollen. Deutschland wirkt tatkräftig im weltweiten Konkurrenzkampf mit. Sei es durch Kriege, um sich die Vorherrschaft geostrategisch wichtiger Punkte zu sichern und neue Märkte zu erschließen; durch die Überschwemmung ausländischer Märkte mit Billigprodukten; die massive ökologische Ausbeutung des Planeten, wodurch vielen Menschen ihre Lebensgrundlage entzogen wird oder durch maximale Ausbeutung und Billigproduktion sog. Outsourcing in anderen Länder.
Durch diese Politik erhalten Unternehmen freien Zugriff auf die Rohstoffe und Absatzmärkte anderer Länder und können höchstmögliche Profite erwirtschaften. Der kapitalistische Konkurrenzzwang erzeugt den Drang immer mehr Profite zu erwirtschaften und somit immer mehr zu produzieren. Die globale Ungleichheit hat sich dadurch inzwischen dermaßen verschärft, dass die Länder des globalen Nordens die Machtverhältnisse und ihre eigene Stabilität zunehmend mit Militär, Polizei und Grenzwache nach innen und außen absichern müssen. Gerade in Zeiten der kapitalistischen Krise ist das oberste Ziel der imperialistischen Staaten die eigene Wirtschaft mit allen Mitteln zu schützen. Tote an den europäischen Außengrenzen werden vom Kapital gerne hingenommen, um die eigene Wirtschaft zu schützen. Nur so kann der Kapitalismus aufrecht erhalten werden, der notwendigerweise darauf beruht, seine ökologischen, ökonomischen und sozialen Folgen mit allen Mitteln auszusperren, um ein „Überschwappen“ dieser zu verhindern. Fluchtbewegungen sollen entmachtet und kontrolliert werden um die Menschen in ausgebeuteten Gebieten festzuhalten bzw. sie dort hin zurückzudrängen. Die Festung Europa steht sinnbildlich dafür.
Die EU – Ein Projekt der Kapitalisten!
Noch nie ging es der EU um Menschenrechte oder Humanität und noch nie war Deutschland daran interessiert geflüchteten Menschen mit einer Aufnahme ein besseres Leben zu ermöglichen. Selbst die angebliche „Willkommenskultur“ im Jahr der sog. „Flüchtlingskrise“ war vielmehr eine notwendige Reaktion der Bundesregierung, um den freien Warenfluss in der EU nicht weiter zu gefährden. Nicht funktionierende Dublin-Regelungen, innereuropäische Konflikte bezüglich Migration und die Wiedereinführung von Grenzkontrollen einiger Länder, ließen keine andere Wahl als die Menschen aufzunehmen, wenn man verhindern wollte, dass der Schengenraum dauerhaft zusammenbricht. Denn das behindert nicht nur den Personenverkehr, sonder auch den freien Waren- und Kapitalfluss innerhalb der EU, von dem Deutschland als stärke Wirtschaftsmacht am meisten profitiert.
Die in den letzten Jahren so massiv vorangetriebene Abschottung zeigt, dass die EU und auch Deutschland mit Willkommenskultur wenig am Hut haben. Zwar wird immer noch von einer Willkommenskultur für all jene, die „wirklich“ Hilfe benötigen und aus Kriegsgebieten kommen schwadroniert, doch wird es den Menschen so schwer und so gefährlich wie möglich gemacht, überhaupt nach Europa zu kommen.
Zum einen werden die Menschen, wie allseits bekannt an den EU-Außengrenzen in riesigen Lagern wie Kara Tepe oder Lipa festgehalten, wo es nur wenig Fortschritt bezüglich ihrer Asylanträge gibt, bis auf die Beschleunigung von Abschiebungen. Zum anderen müssen die Menschen sich auf immer tödlichere Routen begeben. Ein großer Teil der Fluchtbewegung nach Europa hat sich inzwischen nach Westafrika verschoben, die Menschen wollen von dort über den Atlantik zu den kanarischen Inseln gelangen. Dieser Weg hat sich inzwischen zur tödlichsten Fluchtroute der Welt entwickelt, fast wöchentlich kentern Boote. Ein anderes Beispiel ist die Sahara, durch die tausende Menschen versuchen zu fliehen und die ein größeres Massengrab als das Mittelmeer sein soll. Und hat man sie erst einmal durchquert, steht der Weg über das Mittelmeer immer noch bevor.
Deutsche Willkommenskultur – von wegen!
Angekommen werden Geflüchtete – juristisch als auch ideologisch – in willkommene Arbeitskräfte und unerwünschte „SozialtouristInnen“ eingeteilt und ihre Berechtigung für einen Aufenthalt in der EU an einen Job geknüpft. Als „billige Arbeitskräfte“ werden sie auf dem Arbeitsmarkt rücksichtslos ausgebeutet. 1/3 von ihnen ist prekär beschäftigt, arbeitet in Teilzeit, als Leiharbeiter:innen oder sogar schwarz. Sei es bei Tönnies oder als ErntehelferInnen auf Bauernhöfen – der Lohn reicht kaum zum Leben, die „Unterbringung“ in Lagern setzt sich fort. Teilweise werden sogar Arbeitsausrüstung und Unterbringung in Rechnung gestellt, sodass sich die ArbeiterInnen bei den Chefs verschulden! Geflüchtete machen die Drecksjobs, die sonst niemand machen will. Sie haben keine andere Wahl, da sonst die Abschiebung droht. Für den Großteil endet die Ausbeutung und Unterdrückung auch in Europa nicht und ihr Leben ist weiterhin von Unsicherheit bestimmt. Und es gibt keine Aussicht auf Besserung. In Zeiten von Pandemie und Wirtschaftskrise sind es insbesondere Geflüchtete, die am meisten darunter Leiden müssen und das nicht nur auf den griechischen Inseln, sondern auch in deutschen Geflüchteten-Unterkünften. Ganze Unterkünfte werden abgeriegelt, wenn einzelne Corona-Fälle auftreten. Gesunde werden mit Infizierten zusammengesperrt, eine ausreichende Lebensmittelversorgung kann nicht gewährleistet werden. Das ist die „deutsche Willkommenskultur“ im Kapitalismus.
Krise und Flucht
Gerade im Anbetracht der weltweiten Krise, in der Milliarden Menschen im kapitalistischen Sinne unbrauchbar werden, sind Geflüchtet am härtesten getroffen. Sie verlieren hier in Deutschland zuerst ihren Job und werden für die Krise verantwortlich gemacht. Sobald sie nicht mehr brauchbar sind, werden sie dann in einen Flieger gesteckt und zurück in Krieg und Elend geschickt. Ganz Aktuell: Abschiebungen nach Syrien und Afghanistan – Länder, in denen immer noch Krieg herrscht und die bisher als Garant für einen sicheren Asylstatus galten. Unter den aktuellen Bedingungen steigt die Gefahr, dass sich die Situation in den Heimatländern der Geflüchteten weiter zuspitzt. Weltweit eskalieren die Konflikte weiter und Situationen verschärfen sich für viele Menschen, während hier die meisten nur den „Lockdown“ hinter sich bringen müssen. Corona ist kein Grund dafür, dass der Krieg eine Pause macht. Gerade Afghanistan ist ein Prototyp imperialistischer Außenpolitik: Die wichtigen Gas-Pipelines und Handelsrouten, der ungehinderte Zugang für deutsche Unternehmen auf heimische Märkte, Rohstoffe oder seltene Erden sind Gründe genug das Land seit knapp zwei Jahrzehnten unter kriegerischer Belagerung und imperialistischer Knechtschaft zu halten. Deutschland schiebt also nicht nur in Kriegsgebiete ab, sondern ist auch mitverantwortlich dafür, dass Menschen fliehen müssen.
Der Kapitalismus erzeugt immer wieder Überproduktionskrisen, in denen zu viel Kapital nicht mehr in der Lage ist, mit Gewinn in reale Produktionsprozesse investiert zu werden – die nebenbei auch Jobs hervorbringen. In Reaktion darauf sind die Kapitalisten und ihre politische Interessenvertretung dazu gezwungen für neue Verwertungsmöglichkeiten auf immer rücksichtslosere Mitteln zurückzugreifen. Öffentliche Güter, Land und Ressourcen, vorwiegend in Ländern des globalen Südens, werden gewaltsam privatisiert. In der letzten Krise maßgeblich durch die Troika-Politik der EU verwirklicht, kann diese Politik auch in Krieg münden. Rüstungsproduktion und der Abschottungskomplex aus Überwachung, Grenzkontrollen usw. wird auch deshalb noch weiter ausgebaut, weil in diesem Bereich trotz Krise Kapital investiert und Profite erwirtschaftet werden können. Die EU Politik wird maßgeblich von den wirtschaftlich stärksten Playern Deutschland und Frankreich bestimmt, alle anderen, wirtschaftlich kleineren Länder können diese Politik lediglich mittragen. Das Beispiel Griechenland zeigt auf besonders eindrückliche Art und Weise, wie wirtschaftlich schwächere Nationen in Krisenzeiten ausverkauft, privatisiert und von Imperialisten wie Deutschland abhängig gemacht werden.
An Taten, nicht an Worten messen
Vor diesem Hintergrund lösen sich die noch so fortschrittlich klingenden Versprechen der PolitikerInnen einer „Werte-EU“ oder einer humanen Flüchtlingspolitik in Luft auf. Schließlich fußt jede staatliche Stabilität auf einer funktionierenden Wirtschaft und wenn diese auf zwingender Gewinnmaximierung beruht, rücken die noch so „moralisch“ verwerflich Handlungen doch schnell in den Raum des machbaren, wenn sie Profite versprechen. Und an ihren Taten gemessen, liefern sie selbst einen Beweis nach dem anderen, das ihre Entscheidungen an Profiten ausgerichtet sind. Kein besseres Beispiel dafür ist die Geschichte der Grünen. Damals aus einer radikalen Antikriegsbewegung entstanden, sind sie, als sie an der Macht waren schnell von ihrem ehemaligen Friedens-politischen Kurs abgewichen und haben den Jugoslawien-Einsatz 1999, der der erste Auslandseinsatz der Bundeswehr nach dem Faschismus war, mit ihrer Zustimmung ermöglicht. Nach längerer politischer Defensive sind sie aktuell wieder auf der politischen Bühne zurück, streben nach Regierungsmacht und treiben das kulturelle Image der EU als „Festung der Menschenrechte“ wie keine andere Partei voran.
Wenn wir uns als Bewegung auf solche PolitikerInnen oder die Regierung verlassen, können wir, trotz richtiger Intentionen und Ziele, nur scheitern. Wir müssen selbstständig Druck aufbauen um Forderungen durchzusetzen und das wird nicht geschehen mit ihnen geschehen, denn sie handeln nicht im Sinne der Geflüchteten. Eine Zusammenarbeit führt zwingend zur systemischen Integration und zum Abarbeiten am bestehenden politischen Institutionen – eine grundlegende Veränderung wird dadurch nicht erreicht.
Fluchtursachen bekämpfen, heißt Kapitalismus abschaffen!
Organisieren wir uns!
Dafür müssen wir den Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Fluchtursachen aufzeigen und die tiefe Verantwortlichkeit Deutschlands und der EU benennen. Der Kapitalismus baut darauf auf, Flucht zu verursachen und sich abzuschotten. Es sind notwendige Bestandteile eines Systems, das auf Konkurrenz und Profitlogik basiert. Deshalb greift eine moralische Kritik an der europäischen Grenzpolitik der EU viel zu kurz.
Wir haben es mit keinem unsichtbaren Gegner zu tun – die Europäische Union ist ein Projekt der herrschenden Klasse – sie ist ein Projekt der Banken, der Aktionäre, der Vorstandsmitglieder milliardenschwerer Unternehmen, der Politiker. Sie sind verantwortlich dafür, dass Menschen gezwungen werden zu fliehen und an Europas Außengrenzen festgehalten werden (wenn sie es überhaupt soweit schaffen). Machen wir sichtbar, wer von dieser Politik profitiert und greifen wir sie direkt an!
Neben der Benennung der Ursachen und Verantwortlichen für diese Schweinereien, ist es auch wichtig zu benennen, wie eine bessere Gesellschaft jenseits von Profitlogik und Ausbeutung aussehen könnte. Wie eine Welt, in der niemand fliehen muss, aussehen könnte.
Warum sind Fabriken und sonstige Orte an denen Waren produziert werden, die die ganze Gesellschaft benötigt, eigentlich grundsätzlich Privateigentum? Warum gehören Wohnungen großen Immobilienunternehmen und nicht den BewohnerInnen? Wieso können wir eigentlich nicht mitbestimmen, was genau produziert wird und was die Gesellschaft braucht? Warum wird Wirtschaft nicht demokratisch geplant? Warum fließen Milliarden und Abermilliarden in Waffendeals, aber nicht in die Gesundheitsversorgung?
Offensichtlich ist, dass uns die Perspektive einer besseren Welt und vor allem die Umsetzung des Weges dahin nicht einfach geschenkt wird. Wir selbst müssen Motor der Veränderung sein und uns in entsprechenden Strukturen organisieren, um eine Bewegung aufzubauen, die in der Lage ist eine grundlegende Neugestaltung der bestehenden Verhältnisse durchzusetzen.
Mit Veröffentlichungen wie dieser, Kundgebungen oder Demonstrationen ist das nicht einfach getan. Es wird ein langer Weg sein, denn dieses System ist nicht reformierbar und die Herrschenden werden es nicht einfach so hergeben. Der Konflikt zwischen oben und unten wird früher oder später ganz andere Formen annehmen als auf Demos zu gehen und seine Wut auf die Straße zu tragen.
Wichtig ist, dass wir langen Atem haben, an aktuelle Kämpfe anknüpfen und Strukturen aufbauen, die es vermögen langfristig handlungsfähig zu bleiben und nicht nur von der befreiten Gesellschaft sprechen, sondern diese auch ernsthaft erkämpfen wollen!
Keine Antworten